17.06.2025
Psychische Gesundheit ist ein Thema, das insbesondere junge Menschen betrifft – und doch bleibt es in vielen Lebensbereichen mit Stigmatisierung behaftet. Das Präventionsprojekt „Verrückt? Na und!“ setzt genau hier an: Es bringt Fachleute und persönliche Experten in Schulen, um mit Jugendlichen offen über psychische Krisen und Wege der Bewältigung zu sprechen. Im Interview berichtet Projektmitarbeiter Ralf Piesack von seinen Erfahrungen mit den Schultagen, bewegenden Momenten und Wünschen für die Zukunft.
Seit wann begleiten Sie das Projekt, und wie sind Sie dazu gekommen?
Ich begleite das Projekt, das während der Corona-Zeit 2022 ins Leben gerufen wurde, seit April 2023. Aufmerksam wurde ich durch meine damalige Pflegedienstleitung, die mich gezielt ansprach und fragte, ob ich mich engagieren möchte. Die Idee fand ich sofort großartig und war auf Anhieb begeistert. Parallel hörte ich auch von einer bekannten EX-IN-Genesungsbegleiterin, die selbst persönliche Erfahrung mit psychischen Erkrankungen hat, viel Positives über das Projekt. Daraufhin nahm ich an der Schulung für persönliche Experten im GPBZ Mayen teil.
Wie läuft ein Schultag bei „Verrückt? Na Und!“ ab und welche Rolle spielen die „persönlichen Experten“?
Ein
Projekttag beginnt gegen 8:00 Uhr und endet etwa um 13:00 Uhr – also im Rahmen
eines regulären Schultags. In einem gleichberechtigten Tandem, bestehend aus
einem Fachexperten und einem persönlichen Experten, treten wir mit den
Schüler*innen in den Austausch zu Themen, die häufig tabuisiert werden. Dazu
gehören psychische Erkrankungen, Suizidalität, Ängste, Vorurteile,
Stigmatisierung sowie der Umgang mit psychischen Krisen, deren Erkennung und
Bewältigung und die Förderung von Resilienz. Wir regen gesundheitsfördernde
Prozesse in der Klasse an. Ein zentraler Bestandteil ist auch die Vorstellung
des Hilfesystems, das den Schüler*innen zur Verfügung steht. Die Jugendlichen
werden aktiv eingebunden – wir arbeiten interaktiv, sind in Bewegung und
vermitteln die Inhalte spielerisch in einer lockeren, aber vertrauensvollen
Atmosphäre. Der Tag enthält theoretischen Input, Positionierungsfragen,
Partner- und Gruppenarbeiten, Präsentationen durch die Schüler*innen,
Wahrnehmungsübungen, kurze Filmausschnitte, den Bericht des persönlichen
Experten und vieles mehr. Erst am Ende des Tages „outet“ sich der persönliche Experte
als selbst betroffen. Er oder sie erzählt offen von der eigenen Krise und
Genesung. Die Schüler*innen dürfen dann Fragen zum Leben der Person stellen.
Diese Offenheit erzeugt meist einen echten Aha-Effekt. Die Schüler*innen haben
jemanden erlebt, der gesund, authentisch und stabil wirkt – und sind oft
überrascht, dass dieser Mensch eine psychische Erkrankung hat und so offen
darüber spricht. Gerade dadurch wird die Vorbildfunktion der persönlichen
Experten deutlich: Über Schwierigkeiten zu sprechen, Hilfe zu suchen und
anzunehmen – das ist eine starke und mutige Strategie.
Welche besonderen Momente oder Erfolgserlebnisse sind Ihnen im Gedächtnis geblieben?
Jeder Projekttag bringt kleinere oder größere Erfolgserlebnisse mit sich. Viele Schüler*innen sind echte Expert*innen ihres eigenen Lebens und bringen bereits viel Wissen und Erfahrung mit. Während des Tages entsteht ein geschützter Raum, in dem sie offen über eigene Betroffenheit oder die von Angehörigen sprechen können. Oft spüre ich, wie erleichtert sie sind, dass sie sich mitteilen dürfen – das sind bewegende Momente, die mir regelmäßig Gänsehaut bereiten. Es gibt auch Jugendliche, die sich während des Projekttags nicht trauen, ihre Erfahrungen zu teilen. Manche kommen aber im Anschluss auf uns persönliche Experten zu, um im geschützten Rahmen über sich zu sprechen und sich weitere Informationen oder Tipps zu holen.
Psychische Erkrankungen wie Depressionen werden nach wie vor stigmatisiert, gleichzeitig wird in sozialen Medien heute offener darüber gesprochen. Spiegelt sich das auch im Austausch mit den Schulklassen wider?
Viele Schüler*innen beziehen ihr Wissen über psychische Krisen ausschließlich aus sozialen Medien. Wir ermutigen sie, sich gut zu informieren – aber auch, kritisch zu prüfen, ob Informationen glaubwürdig sind. Hier sehe ich eine gewisse Gefahr: Meiner Meinung nach nutzen manche Influencer psychische Erkrankungen, um Aufmerksamkeit oder Klicks zu generieren. Dabei geht oft die Objektivität verloren. Das Bild eines perfekt gestylten, erfolgreichen Menschen spiegelt nicht die Realität und täglichen Herausforderungen von Betroffenen wider. Dadurch entsteht bei den Jugendlichen ein verzerrtes Bild.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Mein Wunsch für die Zukunft ist ein Umdenken auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Es braucht deutlich mehr und frühere Aufklärung über psychische Gesundheit – bereits in Kindergärten und Schulen. Unser Projekt wird von allen Beteiligten – Schüler*innen, Lehrkräften, Schulsozialarbeit, Fach- und persönlichen Experten – sehr geschätzt und als zentral und wichtig angesehen. Die engagierten Mitarbeiter*innen erhalten nur eine kleine Aufwandsentschädigung oder arbeiten ehrenamtlich. Die Finanzierung bleibt eine große Herausforderung. Dabei geben Krankenkassen immense Summen für die Behandlung psychischer Erkrankungen aus. Würden wir alle mehr in Präventionsarbeit investieren, ließe sich viel Leid vermeiden.
Aktuell werden noch persönliche Expert*innen für die Unterstützung der Schultage gesucht! Wer Erfahrungen mit psychischen Krisen hat und sich vorstellen kann, anderen davon zu berichten, kann sich gerne bei folgenden Ansprechpersonen melden: