13.09.2024
„Die Menschen machen den Unterschied“, so heißt es auf der Titelseite der Präsentation zum angestoßenen Transformationsprozess der BBT-Gruppe. Basierend auf sieben Prinzipien soll ein Wandel hin zu einem neuen Unternehmensverständnis eingeleitet werden. Für die BBT-Region Koblenz-Saffig stehen somit ebenfalls inhaltliche Veränderungen an, um auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wie den demografischen Wandel, Fachkräftemangel und Digitalisierung zu reagieren. Für die beiden BBT-Regionalleiter Frank Mertes und Jérôme Korn-Fourcade steht fest: Der Transformationsprozess adressiert ein neues Verständnis von Führung im Sinne von gemeinsamer Verantwortung. Ein ausführliches Interview über eine neue Führungskultur, ein klares Wertefundament und warum ein Wasserrohrbruch nicht immer schlimm sein muss.
Herr Korn-Fourcade, Herr Mertes, nehmen Sie uns ein Stück mit: Warum wurde der Transformationsprozess der BBT-Gruppe eigentlich angestoßen?
FM: Die BBT-Gruppe ist einer der größten freigemeinnützigen Träger von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen in Deutschland und dementsprechend sind auch wir von gesamtgesellschaftlichen Megatrends und Veränderungen betroffen. Der demografische Wandel, die angespannte Fachkräftesituation und fortschreitende Digitalisierung sind Themen, denen wir uns stellen müssen und für die wir im Sinne der uns anvertrauten Menschen Antworten finden müssen. Das bedarf unserer Ansicht nach eines Wandels von Innen, jedoch auf dem stabilen Fundament unserer Werte, unserer Wurzeln und von unserem von christlicher Nächstenliebe geprägtem Sendungsauftrag.
JKF: Die Gleichzeitigkeit und auch die Geschwindigkeit von sich verändernden Rahmenbedingungen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Das macht die Ausrichtung unserer Gruppe zu einer sehr anspruchsvollen Aufgabe. Die von Frank Mertes beschriebenen Herausforderungen werden wir nur gemeinsam und im starken Schulterschluss der gesamten Dienstgemeinschaft bewältigen können. Dazu wollen wir unseren Werkzeugkoffer erweitern und neue Herausforderungen in einer anderen Art und Weise angehen. Das heißt auch, dass unsere strategischen Unternehmensziele zukünftig in kürzere Zeitintervalle getaktet werden und dass sich diese weniger top-down entwickeln sondern über alle BBT-Regionen hinweg in einer deutlich stärkeren Vernetzung gedacht werden.
Ist es überhaupt möglich ein 15.000 Mitarbeitenden zählendes Unternehmen mit Standorten in vier Bundesländern in ein neues Selbstverständnis zu überführen? Das Gesundheits- und Sozialsystem in Deutschland ist doch ein stark reglementiertes System. Handlungsspielräume und auch finanzielle Möglichkeiten sind oft begrenzt. Vieles muss beispielsweise mit Ländern, Kommunen oder Krankenkassen abgestimmt beziehungsweise verhandelt werden.
JKF: Lebensfördernd zu wirken, für Gleichwürdigkeit
einzustehen und unseren Dienst am Menschen wirkungsvoll zu gestalten, ist zwar
eine neue Fokussierung unseres Auftrags, trotzdem leitet es sich nach wie vor
aus dem Werk Peter Friedhofens ab. Dieses Werk gilt es in unsere heutige,
schnelllebige und zum Teil hektische Zeit hinein zu übersetzen. Dazu adressiert
der Transformationsprozess konkret die Themen Führungsverständnis, Organisation
und Zusammenarbeit. Es gibt viele gute Beispiele von Unternehmen, denen der Weg
in eine neue Form des Miteinanders erfolgreich gelungen ist.
Dann müssten wir diese „Best-Practice-Beispiele“ also einfach nur übernehmen und alles wird anders?
JKF: So einfach ist es natürlich nicht. Auch wenn wir das im Gesundheits- und Sozialwesen vielleicht nicht gerne hören: Wir sind in Bezug auf die Themen Bürokratie und Regulierung nicht alleine in diesem Land. Auch für Banken, forschende Pharmaunternehmen oder die Automobilindustrie gelten eine Vielzahl von Regelungen und Meldepflichten, bzw. die Notwendigkeit der Abstimmung mit Dritten. Wenn wir uns zu sehr auf das konzentrieren, was systembedingt in unseren Geschäftsfeldern nicht geht, dann verlieren wir den Blick für die Dinge, wo wir aus anderen Branchen lernen können, bzw. den Fokus auf die Handlungsfelder, wo Veränderung trotz aller Regulierung möglich ist. Die Thematik, Gutes aus anderen Arbeitsumfeldern zu adaptieren, ist in ihrem Grundsatz übrigens nicht neu. Zum Beispiel haben alle unsere Instrumente des Qualitäts- und Risikomanagements oder der Bereich Qualitätssicherung ihren Ursprung in anderen Branchen. Wegzudenken sind diese Instrumente in Krankenhäusern oder Seniorenhilfeeinrichtungen heute nicht mehr.
Das erste Prinzip der Neuausrichtung lautet: „An Patient*innen, Bewohner*innen und Klient*innen orientiert“. War die BBT-Gruppe dies bisher nicht?
FM: Doch. Die Menschen für die wir mit unseren Angeboten da sind, stehen schon immer im Mittelpunkt unseres Handelns. Dies war und ist eine Grundhaltung in allen Einrichtungen der BBT-Gruppe. In unsere BBT-Region hineingeschaut fallen mir da z.B. unsere Geriatrie am Krankenhausstandort Montabaur, die Teilhabedienste in Saffig oder unser palliativmedizinischer Konsiliardienst des KKM ein, wo die Fokussierung im Sinne dieses Prinzips schon sehr ausgeprägt und auch erlebbar ist. Trotzdem müssen wir uns an einigen Stellen auch selbstkritisch hinterfragen, ob uns unsere Systeme und die dahinterliegende Ressourcenknappheit nicht manchmal dazu verleiten, diese Haltung aus dem Blick zu verlieren. Von daher verstehen wir dieses Prinzip eher als eine Vergewisserung, dass wir all unsere Prozesse konsequent von den Menschen her denken. Und damit natürlich auch für alle Kolleginnen und Kollegen in unserer Dienstgemeinschaft.
Darüber hinaus soll die Autonomie der Mitarbeitenden gestärkt und gefördert werden. Ist dies ein Eingeständnis in Richtung Generation Z?
JKF: Wir glauben fest daran, dass sich Menschen weiterentwickeln wollen. Das macht sich für uns nicht an einem spezifischen Alter oder einer Generation fest. Es ist unser Ziel, dass wir Arbeitswelten schaffen, in denen sich unsere Kolleginnen und Kollegen mit ihren Stärken, Interessen und Talenten tatkräftig einbringen können.
Sind Talente und Interessen also ein Schlüssel für die erfolgreiche Einbindung?
JKF: Wir erleben so viele positive Beispiele von Mitarbeitenden, die sich mit viel Leidenschaft und Kreativität in Ihrer Freizeit gemeinnützig engagieren. Für ihre Talente und guten Ideen, die sie z.B. in einem Sportverein einbringen können, fehlt im Arbeitsalltag häufig der Raum oder die entsprechende Möglichkeit. Da gilt dann an manchen Stellen der gute alte Satz: „Wenn das Unternehmen wüsste, was es alles weiß, bzw. was es alles kann.“ Das wollen wir in einer anderen Art und Weise positiv aktivieren.
Gibt es eine Berufsgruppe die Sie hierbei besonders im Blick haben?
FM: Ein prominentes und für uns wichtiges Beispiel ist die
bundesweit zu beobachtende Entwicklung im Bereich der Pflege. Die Barmherzigen
Brüder von Maria-Hilf sind ein Pflegeorden und nach wie vor sind die Pflegenden
über alle Geschäftsbereiche der BBT-Gruppe hinweg unsere zahlenmäßig größte
Dienstart. Wenn man dann bedenkt, dass die mittlere Verweildauer im Pflegeberuf
in Deutschland bei nur noch 11,5 Jahren angekommen ist, dann ist klar, dass
sich an den Arbeitsbedingungen dieser Berufsgruppe etwas zum Positiven
verändern muss, um diesem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken. Auch
darauf sollen die Prinzipien der stärkeren Autonomie und der gezielten
Förderung von Mitarbeitenden hinwirken.
Ein weiterer
wichtiger Punkt ist die Etablierung einer neuen Fehlerkultur. In einer Grafik
wird dies mit einem Wasserrohrbruch dargestellt, der zu einem Bach wird, über
den eine Brücke gebaut wird. Schließlich mündet der Bach dann auch noch in
einem See, auf dem Segelboote zu sehen sind. Können Sie dieses Sinnbild etwas
näher erläutern?
JKF: Ich würde es nicht als eine neue, sondern als eine bewusst positive Fehlerkultur im Sinne eines lernenden Unternehmens beschreiben wollen. Überall dort, wo Menschen ihrem Beruf als Berufung und mit viel Engagement und Leidenschaft nachgehen, da passieren auch Fehler. Das ist ganz natürlich. Wichtig ist es, aus diesen Fehlern zu lernen und zu vermeiden, dass sie erneut oder an anderen Stellen im Unternehmen wiederholt passieren.
Bedeutet das also „mehr Zuversicht, weniger Schuldzuweisungen“?
JKF: Ja genau. Es ist ein kulturelles Phänomen in unserem Land, dass wir in solchen Fällen häufig viel Energie aufwenden, um Schuldige zu suchen oder zu erklären, warum der Fehler nicht bei mir, sondern woanders liegt. Diese Energie ist unserer Ansicht nach in der gemeinsamen Behebung des Fehlers und im gemeinsamen „daraus Lernen“ deutlich besser investiert. Dieses Prinzip geht aber auch Hand in Hand mit der psychologischen Sicherheit, die Mitarbeitende verspüren und erleben müssen, um aktiv und positiv Feedback zu Dingen zu geben, die dann halt mal nicht geklappt haben.
FM: Aus Dingen, die direkt auf Anhieb funktionieren und die
scheinbar völlig problemlos Erfolge erzielen, lernt man in aller Regel weniger,
als aus Dingen, die auch einmal schiefgegangen sind. Darüber hinaus gibt es in
vielen Lebensbereichen Beispiele, wo aus Fehlern echte Erfolgsgeschichten
geworden sind, wie z.B. beim Post-it oder dem Champagner. Wir sind an dieser
Stelle zwar kein Industriebetrieb, aber das Prinzip, an Dingen die zunächst
scheitern wachsen zu können, ist auch für uns als BBT-Gruppe und für unsere
Geschäftsfelder adaptierbar. Das Bild, dass aus Situationen mit unglücklichem
Anfang etwas Positives für uns und für die Menschen, für die wir da sind,
werden kann, symbolisiert dann der See im Piktogramm. Am Ende kann dann das
Wasser aus dem Rohrbruch umgeleitet werden und etwas Gutes entstehen, an dem
man Freude haben kann und das uns bereichert.
Dann bleiben wir doch
bei dem Bild des Sees: Um die Prinzipien eines neuen Unternehmensverständnisses
zu „verankern“, bedarf es natürlich einer Transparenz durch alle Führungsebenen
hindurch. Wie kann dies gelingen? Und ist der Begriff „Führungsebene“ überhaupt
noch korrekt? Gibt es in der Transformation noch „die Führungsetage“ in der
alles entschieden wird – sprich „den Kapitän auf hoher See“ der alles vorgibt?
JKF (lacht): Der Ansatz Verantwortung und
Entscheidungsbefugnisse konsequent an die Stellen im Unternehmen zu geben, wo
die entsprechende Fachkompetenz sitzt, ersetzt nicht die Notwendigkeit von
Führung oder die Sicherstellung von Organschaften in Rechtsträgern. Diese
Unterscheidung ist glaube ich sehr wichtig. Der Transformationsprozess adressiert
aber explizit ein neues Verständnis von Führung im Sinne von gemeinsamer
Verantwortung und der Befähigung von Kolleginnen und Kollegen durch eine neue
Form der Personalentwicklung. Dass Führungsverantwortung im Team wahrgenommen
wird, hat bereits eine lange Tradition in unserer Gruppe. Von der
Konzerngeschäftsführung über die heutigen Regionalleitungen und zukünftigen
Regionalen Geschäftsführungen bis hin zu unseren Direktorien gilt auch heute
schon konsequent ein Prinzip der gemeinsamen Verantwortung als Team.
Und wie gelingt es,
diese Teamverantwortung durch alle Ebenen hindurch zu ermöglichen?
JKF: Führung hört ja nicht auf der Ebene von Konzern- oder Betriebsleitung auf. Von daher geht es insbesondere darum Führungskräfte in der
direkten Versorgung von Patienten, Bewohnern und Klienten, aber auch in der
Administration, im Sinne dieses Teamverständnisses mit einzubinden und
Entscheidungsprozesse hierdurch deutlich zu verschlanken, bzw. zu
beschleunigen.
FM: Um es auf den Punkt zu bringen: Wo sich Menschen in
unserer Dienstgemeinschaft positiv einbringen wollen, da sollen gute Ideen und
Inspirationen nicht über mehrere Hierarchieebenen und Prüfschleifen hinweg
verpuffen oder von fachfremden Verantwortungsträgern wegdiskutiert werden,
sondern dort bewertet und auch entschieden werden, wo das entsprechende
Know-how sitzt. Das macht dann den Mehrwert für die uns anvertrauten Menschen.
So machen wir als Menschen für Menschen den Unterschied.